DIE PROTAGONISTIN

ZELIHA POLAT


Zeliha wurde 1956 in Agdat, einem Weiler in der Provinz Dersim im Osten der Türkei geboren. Sie ist eine Enkelin von Seyit Riza, dem politischen Anführer des Dersim-Aufstands von 1937/38, bei dem sich zwölf der hier ansässigen Stämme gegen die Vertreibung aus ihrer Heimat zur Wehr setzten. Seyit Riza wird noch heute von den Kurden in der Türkei als wichtiger Held des Widerstands verehrt.

Zeliha hat nie geheiratet. Nach ihren Jugendjahren in der Provinz Dersim wurde sie, wie fast alle Menschen aus Dersim, gezwungen, ihre Heimat zu verlassen. Sie lebte und arbeitete in Ankara, Izmir und Istanbul. Mit ihrer Arbeit unterstützte sie ihre Familie. Wann immer es möglich war, besuchte Zeliha ihre Heimat in in den Bergen Dersims.

Im Jahr 2000 gab sie ihre Arbeit als Sekretärin auf und zog in die Hochebene Agdat, in ihr altes Stammesgebiet. Sie spannte eine Plastikplane zwischen den überwachsenen Ruinen des Hauses ihres Grossvaters und entschied sich, von nun an hier zu leben. Dies kam einer Provokation gleich. Denn seit der blutigen Niederschlagung jenes Aufstandes von 1937/38 hat die türkische Regierung verboten, das Stammesgebiet von Seyit Riza wieder zu besiedeln. Also versuchte das Militär mit verschiedenen Mitteln Zeliha aus ihrem Stammesgebiet zu vertreiben. Zeliha liess sich jedoch nicht von ihrem Vorhaben abbringen. Sie blieb. Als Nachkomme Seyit Rizas sieht sie es als ihre Aufgabe, ihre Heimat vor der Übernahme durch die türkische Regierung zu beschützen. Damit führt sie den alten Widerstand ihres Grossvaters gegen die Vertreibung weiter.

Inzwischen hat Zeliha auf dem alten Grundstück ihrer Familie eine kleine Hütte gebaut, die sie jedes Jahr etwas komfortabler ausbaut. 

In ihrem zweistöckigen kleinen Haus ist der Parterreraum für die zahlreichen Gäste vorgesehen, welche aus ihrer Diaspora den Heimatort von Seyit Riza besuchen wollen. Im oberen Stock hat sie einen kleinen Raum für sich. Die gedeckte Veranda mit dem grossen Kamin dient als Küche und Wohnraum für alle. Von hier aus hat man einen weiten Blick über die Hochebene Adat’s. 
Für viele Kurden aus Dersim ist Zeliha's Hütte in der Hochebene von Agdat ein letztes Zeugnis ihrer eigenen Geschichte, weshalb Zeliha's Hütte für viele von ihnen zur Pilgerstätte geworden ist. 

 

Obgleich Zeliha bei ihren Arbeiten rund ums Haus kräftig zupacken kann, hat sie die Ausstrahlung einer urban geprägten Frau: Gepflegt, mit aufrechter Körperhaltung und anmutigen Bewegungen. Sie ist gebildet und erfahren im Umgang mit den Behörden. Dieser Widerspruch macht Zeliha zu einer faszinierenden Erscheinung.

Trotz starken Überzeugungen und ihrem Engagement für ihr Volk, sind Zelihas eigene, unausgesprochene Verletzungen und ihr Ringen um Würde spürbar. Sie ist stolz darauf, sich alleine als unverheiratete Frau behaupten zu können. Sie hofft, mit ihrer Unabhängigkeit anderen Frauen Mut zu machen. Sie sagt, dass jede Frau die Möglichkeit haben muss, ihre Rolle im Leben frei wählen zu dürfen und sie habe ihre Rolle und ihren Platz hier in Adat gefunden.


Nun hat die türkische Regierung damit begonnen, die Provinz Dersim neu zu parzellieren. Dabei verkauft oder verschenkt sie willkürlich Grund-stücke an Fremde, ohne die alteingesessenen Familien zu informieren. Meist an Mitglieder der Regierungspartei AKP von Präsident Erdogan. Da es bisher keine offiziellen Besitzurkunden über diese Landstriche in den Bergen Dersims gegeben hat, haben die Menschen hier kaum eine Möglichkeit, auf juristischem Weg zu beweisen, dass sie und ihre Vorfahren seit Jahrhunderten auf diesem Land gelebt und es bewirtschaftet haben.

Auch Zeliha ist von dieser Landenteignung betroffen. Ein Teil ihres Grundstücks wurde bereits an andere überschrieben. Weitere Teile drohen ebenfalls ‚vergeben‘ zu werden. In den Unterlagen ihrer Familie fand Zeliha jedoch alte Steuerbelege die beweisen, dass bereits ihr Grossvater Seyit Riza als Grossgrundbesitzer für die Hochebene von Agdat Steuern bezahlt hatte. Seit 2015 versucht sie nun auf juristischem Weg das Land für ihre Familie zurückzugewinnen. 

Das Verfahren ist heute, 2020 noch immer nicht abgeschlossen.